21.01.2014

Sage mir was Du liest und ich sage Dir woher Du kommst

Florian Kessler erläutert in einem Zeitartikel, das nur noch Ärzte- und Lehrerkinder in den Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim Erfolg haben. Er meint, ein Autor kann nur noch erfolgreich sein, wenn er längere, finanziell klamme Phasen mit der Unterstützung seiner Eltern überbrücken kann. Er bedauert dies und wünscht sich, so habe ich ihn verstanden, eine gemischte Gruppe von Schriftstellern, die was erlebt haben und die Abgründe der menschlichen Existenz kennen.

Darüber habe ich nachgedacht und mich gefragt, war das früher anders?

Ich habe mal die ersten 20 Bücher des Literaturkanons von Marcel Reich-Ranicki genommen und geschaut was die Eltern der, meist schon toten, Schriftsteller so waren:
  • Goethe - Vater Jurist, übte den Beruf aber nicht aus, sondern lebte von seinem Vermögen, das an seinen Sohn überging
  • E.T.Hoffmann - Vater, Jurist
  • Gottfried Keller - Vater, Drechslermeister
  • Theodor Fontane - Vater, Maler- und Musiklehrer
  • Thomas und Heinrich Mann - stammten aus reicher Lübecker Patrizier und Kaufmannsfamilie
  • Robert Musil - einzige Sohn des Ingenieurs und Hochschulprofessors Alfred Musil
  • Hermann Hesse - stammte aus christlicher Missionarsfamilie
  • Franz Kafka - jüdische Kaufmannsfamilie
  • Alfred Döblin - Vater, Schneidermeister und Konfektionsfabrikant
  • Joseph Roth - jüdische Kaufmannsfamilie
  • Anna Seghers - Vater, Kunsthändler in Mainz
  • Heimito von Doderer - Vater, Architekt und Ingenieur
  • Wolfgang Koeppen - uneheliches Kind eines Privatdozenten für Augenheilkunde an der Uni Greifswald
  • Günter Grass - Sohn eines protestantischen Lebensmittelhändlers aus einfachen Verhältnisse
  • Max Frisch  - Vater, Architekt
  • Thomas Bernhard - uneheliches Kind eines Tischlers und einer Haushaltshilfe 
Bei der Trivialliteratur kommen die Autoren aus ganz anderen Verhältnissen, ich machs mal kürzer:
  • Karl May - Weberfamilie
  • Hedwig Courts Mahler - Halbwaise, die bei einer Schusterfamilie aufwuchs
  • Daniel Defoe - Sohn eines Wachsziehers und Kerzenhändlers
  • Stephen King - Vater hat die Familie verlassen und Mutter hielt die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser

Vielleicht muss man aus der Gruppe stammen, die einen lesen soll.